Ist es gestohlen?
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Dienstag, 9 Woche JK
Tob
2, 9-14
9Als
ich, Tobit, am Pfingsttag einen Toten begraben hatte und in der Nacht nach
Hause kam, legte ich mich an der Hofmauer zum Schlafen nieder, weil ich unrein geworden
war. Mein Gesicht ließ ich unbedeckt,
10ohne
auf die Sperlinge zu achten, die in der Mauer nisteten. Da ließen die Sperlinge
ihren warmen Kot in meine offenen Augen fallen, und es bildeten sich weiße
Flecke in meinen Augen. Ich ging zu den Ärzten, doch sie konnten mir nicht
helfen. Achikar sorgte für meinen Unterhalt, bis er in die Provinz Elymaïs zog.
11Meine
Frau Hanna fertigte zu Hause Webarbeiten an, wie sie Frauen zu machen pflegen,
12und
lieferte sie dann bei den Bestellern ab. Einmal geschah es, dass sie ihr nicht
nur den Lohn zahlten, sondern auch noch ein Ziegenböckchen dazuschenkten.
13Als
sie heimkam, fing das Tier an zu meckern. Ich fragte sie: Wo hast du das
Böckchen her? Es ist doch nicht etwa gestohlen? Dann gib es seinen Eigentümern zurück!
Denn was gestohlen ist, darf man nicht essen.
14Sie
erwiderte: Es wurde mir zusätzlich zu meinem Lohn geschenkt. Aber ich glaubte
ihr nicht und verlangte, dass sie es seinen Eigentümern zurückbrachte, und ich
schämte mich ihretwegen. Doch sie antwortete: Wo ist denn der Lohn für deine
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit? Jeder weiß, was sie dir eingebracht haben.
Ist es gestohlen?
Tobit
hört das Ziegenböcklein meckern und denkt sofort, dass es gestohlen sei. Sein
Urteil ist von einer Sekunde auf die andere gefällt. Manchmal ist es wie ein
Gift in uns, dass wir, wenn wir etwas hören oder sehen, sofort das negative
annehmen. Ein falsches Urteil ist schnell gefällt. Der heiligen Franz von Sales
gibt in seinem Büchlein „Philothea“ in Kapitel 28 ein gutes Gegenmittel gegen
solche negativen Gedanken.
Über das falsche Urteil.
„Was
gibt es nun für Gegenmittel? Wer den Saft der äthiopischen Schlangenpflanze
trinkt, glaubt überall Schlangen und schreckliches Gewürm zu sehen. Wer von
Hochmut, Neid, Ehrsucht und Hass eingenommen ist, sieht überall nur Schlechtes
und Tadelnswertes.
Die
einen müssen als Heilmittel Palmwein trinken, den anderen rate ich: trinkt
möglichst viel vom heiligen Wein der Liebe! Sie wird euch von diesem Gift
befreien, das euch stets zu falschen Urteilen verleitet.
Die Liebe
fürchtet, dem Schlechten zu begegnen, und ist weit davon entfernt, es zu
suchen. Begegnet sie ihm, dann wendet sie den Blick ab und tut, als sähe sie
nichts, ja sie schließt schon beim leisesten Geräusch die Augen
und glaubt dann in heiliger Einfalt, es sei nicht das Schlechte gewesen, sondern nur ein Schatten, ein Traumbild davon. Ist sie aber gezwungen, es als das Schlechte zu erkennen, so wendet sie sich sofort davon ab und sucht seinen Anblick zu vergessen.
Die Liebe ist das wirksamste Heilmittel gegen jedes Übel, besonders gegen dieses. Den Augen der Gelbsüchtigen erscheint alles gelb; es heißt, sie werden gesund, wenn sie Schellkraut unter die Fußsohlen legen.
Das Laster des freventlichen Urteils ist eine geistige Gelbsucht; sie lässt in den Augen der von ihr Befallenen alles schlecht erscheinen. Wer davon geheilt werden will, muss das Pflaster nicht auf die Augen oder den Verstand legen, sondern auf die Affekte, die man vergleichsweise die Füße der Seele nennen kann. Sind deine Affekte, deine Gesinnung gütig, so wird auch dein Urteil gütig sein; sind sie liebevoll, wird auch dein Urteil liebevoll sein.
Das will ich dir an einem trefflichen Beispiel
beweisen.
Isaak
hatte gesagt, Rebekka sei seine Schwester. Abimelech sah nun, wie er mit ihr
spielte, d. h. sie zärtlich liebkoste. Er folgerte daraus, dass sie seine Frau
sei (Gen 26,7-9). Ein argwöhnischer Geist hätte geurteilt, dass Rebekka ein schlechtes
Weib sei, oder wenn seine Schwester, dass dann Isaak in Blutschande mit ihr
lebte. Abimelech aber nahm das an, was am ehesten der Liebe entsprach.
So musst auch du immer zugunsten des Nächsten urteilen, soweit es nur möglich ist. Hätte eine Handlung hundert Gesichter, so sollst du das schönste ansehen.“
Edgar Wunsch, Pfarrer
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