Wem gilt die Bergpredigt? Teil 1

 

Mt 5, 38-42     Montag, 11. Woche

 

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab

 

Gerhard Lohfink ist mit seinem Buch: Wem gilt die Bergpredigt, Herder 1993 eine hervorragende Deutung und Auslegung der Bergpredigt geglückt. Da mir seine Worte sehr geholfen haben, geben ich sie hier und an den folgenden Tagen unverkürzt weiter. (Seite 39ff)

 

1. Teil: aus G. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 39 - 40

Wer kann die Gewaltlosigkeit leben? Die Erfahrung Solschenizyns

Alexander Solschenizyn hat mit dem „Archipel GULAG" eine erste Geschichte der sowjetischen Straflager während der Stalinzeit zu schreiben versucht. Im 5. Teil des umfangreichen Werkes berichtet er von dem Widerstand, den es seit 1949 in den Lagern gab. Er zeigte sich vor allem darin, dass seit dieser Zeit mehr und mehr Lagerspitzel von ihren Mithäftlingen getötet wurden. Zum Bedrückendsten in den Stalinschen Lagern gehörte nämlich von Anfang an ein durchdachtes Spitzelsystem, das den letzten Rest von Freiheit erstickte. Es ging in den sowjetischen Straflagern erst von dem Augenblick an menschlicher zu, als die Häftlinge begannen, die Spitzel, die ja aus ihren eigenen Reihen kamen, nachts mit selbstverfertigten Messern zu erstechen. Solschenizyn schildert dieses Spitzelstechen, wie man es nannte, ausführlich und beteuert, dass es erst von da an in den Lagern wieder eine (relative) Bewegungs- und Redefreiheit gab. Das Herrschaftssystem der Lagerkommandanturen war an einem entscheidenden Punkt durchlöchert worden. Und zwar durch Gegengewalt. Genau in diesem Zusammenhang schreibt dann Solschenizyn, der selbst acht Jahre lang als Häftling in sowjetischen Straflagern leben mußte, folgendes:

Den Spitzeln das Messer in die Brust bohren! Messer schmieden und auf Spitzeljagd gehen! - Das ist es! Jetzt, da ich dieses Kapitel schreibe, türmen sich auf den Regalen über mir humanitätsschwere Bücher und blinken mir mit ihren mattschimmernden, gealterten Einbänden vorwurfsvoll zu, wie Sterne durch Wolkenstreifen: Man darf nichts in der Welt durch Gewalt zu erreichen suchen! Wer zum Schwert, zum Messer, zum Gewehr greift, wird nur zu rasch seinen Henkern und Bedrückern gleich. Und der Gewalt wird kein Ende sein ... Wird kein Ende sein. .. Hier am Schreibtisch, im warmen, sauberen Arbeitszimmer, bin ich völlig einverstanden. Doch wer grundlos zu fünfundzwanzig Jahren Lager verdammt wird, wer seinen Namen verliert und vier Nummern angeheftet bekommt, die Hände immer auf dem Rücken halten muß, jeden Morgen und Abend gefilzt wird, täglich bis zur Erschöpfung robotet, zu Verhören in die „Baracke mit verschärftem Regime“ geschleift wird, für immer in diese Erde gestampft wird - für den hören sich alle Reden der großen Menschenfreunde wie das Geschwätz satter Spießer an. Wird kein Ende sein! ... Uns ging es darum, ob ein Anfang sein wird! Ob ein Lichtblick sein wird in unserem Leben oder nicht. Nicht umsonst hat das Volk aus langer Bedrückung die Lehre gezogen. Mit Güte kommt man gegen das Böse nicht an.

Mit Güte kommt man gegen das Böse nicht an. … Solschenizyn spielt in dem zitierten Text auf Mt 26,52 an: „Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen." Die Bergpredigt mit ihrer Forderung zum absoluten Gewaltverzicht nennt er nicht. Aber sie steht, für jeden gebildeten Russen durch Tolstoi vermittelt, selbstverständlich im Hintergrund.

Es scheint kaum ein härteres Argument gegen die jesuanische Aufforderung zum Gewaltverzicht zu geben als die Schilderungen Solschenizyns: Solange sich die Menschen in den Lagern duckten und in ihr Schicksal ergaben, tobte sich der Stalinsche Terror aus und zwar je länger, je mehr. Sobald sie aber den Widerstand organisierten und Gewalt mit Gegengewalt beantworteten, bekamen sie Luft, leuchtete Hoffnung auf, fühlten sie sich zum ersten Mal wieder als Menschen. Ist damit die jesuanische Forderung nicht erledigt? In geordneten Verhältnissen, sagt Solschenizyn, gebe ich solchen Sätzen recht. Aber in den Straflagern dieser Welt erweisen sie sich als Illusion, ja als Geschwätz.

Solschenizyn befindet sich mit dem, was er sagt, in guter Gesellschaft. Martin Buber bekannte sich, wie viele seiner Glaubensgenossen, zu dem alten talmudischen Grundsatz: „Wenn einer sich anschickt, dich umzubringen: komme ihm zuvor."

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