Wem gilt die Bergpredigt? Teil 5

 

Mt 6, 19-23     Freitag, 11. Woche

 

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!

 

 

5. Teil: aus G. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 47 - 58

 

Aber damit sind wir bei unserem eigentlichen Thema: Was ist der Sitz im Leben der jesuanischen Aufforderung zum Gewalt­verzicht? Was ist der gesellschaftliche Kontext dieser Forde­rung? Wem gilt sie? Gilt sie der gesamten Menschheit, gilt sie einer bestimmten Gruppe oder gilt sie dem je Einzelnen? 12

 

Die Adressaten der Predigt Jesu

Jesus wendet sich mit sei­ner Verkündigung nicht nur betont an Israel, er wendet sich so­gar ausschließlich an Israel. Eine Heidenmission hat Jesus nicht ins Auge gefasst. Dem Matthäusevangelium zufolge gebietet er denen, die er aussendet: „Geht nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 10,6; vgl. 15,24).

Um das Heil der Heiden macht sich Jesus dabei keine Sorgen: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und von Westen kom­men und mit Abraham, Isaak und Jakob im Reich der Himmel zu Tische liegen" (Mt 8,11 par Lk 13,281). Die prophetische Vorstellung von der Völkerwallfahrt kommt ganz ohne den Missionsgedanken aus: Die Heiden werden, fasziniert von dem Heil, das in Israel sicht­bar wird, ganz von selbst zum Gottesvolk hingetrieben. So zeigt gerade die Vorstellung von der Völkerwallfahrt, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Jesus auf die Sammlung Israels kon­zentriert. Alles andere wird Gott dann schon herbeiführen.

 

Die Jünger, vor allem die zwölf, sind zunächst einmal Instrument der Sammlung Israels. … Das Ethos der „Bergpredigt" soll im Jüngerkreis gelebt werden, es ist aber zugleich Ethos für das ganze Volk.

Jesus geht es durchaus um konkrete Praxis geht, von der er überzeugt ist, dass sie gelebt werden kann - allerdings nur dort, wo eine ganze Gruppe beziehungsweise ein ganzes Volk an das Reich Gottes glaubt und sich in freiem Konsens den Anforderungen des Reiches Gottes unterwirft. Wo das geschieht, werden die Jünger, wird Israel zum „Salz der Erde", zum „Licht der Welt" und zur „Stadt auf dem Berg" (Mt 5,13-16).

 

Die neue Familie

Wo im Sinne Jesu an das Wunder des Reiches Gottes geglaubt und das Reich Gottes als unverdientes Geschenk angenommen wird, entsteht aber nicht nur ein neues Ethos, sondern dort entsteht auch eine neue Form von Gemeinschaft. Die alten Bindungen an die Familie, an den Clan, an die Nation treten dann zurück, werden unwichtig oder werden zumindest relativiert. An ihre Stelle tritt die neue Familie der Brüder und Schwestern Jesu.

Die neue Familie besteht vielmehr aus allen, die bereit sind, jetzt, in dieser Stunde, das Reich Gottes anzunehmen

Dieser Text spricht genau das an, was heute oft als Herrschaftsstrukturen bezeichnet wird. Sie sind das Übliche in den Gesellschaften dieser Welt. In der Jüngergemeinde hingegen darf es keine Herrschaftsverhältnisse mehr geben. Wer dort der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Jesus fordert offensichtlich von seinen Jüngern eine völlig andere Art des Miteinanderumgehens, als sie sonst in der Gesellschaft üblich ist. Das heißt aber: Er fordert eine Gegengesellschaft oder vielleicht besser: eine Kontrastgesellschaft.

 

Das Volk Gottes als Kontrastgesellschaft

Jesus versteht das zu sammelnde Gottesvolk, aus dem dann später die Kirche geworden ist, als eine wirkliche Kontrastgesellschaft. Das heißt keineswegs: als einen Staat oder als eine Nation. Wohl aber als Gemeinschaft, die einen eigenen Lebensraum bildet, als Gemeinschaft, in der man anders lebt und anders miteinander umgeht, als dies sonst in der Welt üblich ist. Man könnte das Gottesvolk, das Jesus sammeln will, durchaus

Jesus setzt- in allem, was wir gehört haben – die Konflikte ja geradezu voraus. Entscheidend ist für ihn, dass diese Konflikte anders ausgetragen werden als in der übrigen Gesellschaft: nicht indem „Herrschaft“ durchgesetzt wird, nicht indem rechte erkämpft werden, sondern gerade im Verzicht auf das Recht und im Verzicht auf jede Gewalt. Der Adressat der Bergpredigt ist also Israel, ist das zu sammelnde Gottesvolk, ist die neue Familie Jesu – also das, was heute die Kirche sein sollte.

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