Wem gilt die Bergpredigt? Teil 3
Mt 6, 1-6.16-18 Mittwoch, 11. Woche
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben, und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. 1enn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage ich euch Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
3. Teil: aus G. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 42 - 45
…. Wir wollen fragen: Von wem fordert Jesus eigentlich den Gewaltverzicht: von der gesamten Menschheit, von einer bestimmten Gruppe innerhalb der Menschheit oder von dem je Einzelnen?
Der entscheidende Text: Mt 5,39-42
Vor der Behandlung dieser Frage ist es jedoch notwendig, wenigstens kurz etwas zu dem Text zu sagen, um den es nun schon die ganze Zeit geht: zu jenem Text, der die Aufforderung Jesu zum Gewaltverzicht am klarsten formuliert. Er findet sich in Mt 5,39b-42 par Lk 6,29f, fehlt hingegen bei Markus. Schon hieran wird deutlich: Er geht auf die Logienquelle zurück. Offensichtlich hat Matthäus in unserem besonderen Fall den ursprünglichen Wortlaut von Q besser bewahrt als Lukas. Auf Grund eines synoptischen Vergleichs läßt sich der Abschnitt über den Gewaltverzicht in der Logienquelle folgendermaßen rekonstruieren 8:
1. Dem, der dich schlägt auf die rechte Backe, halte ihm auch die andere hin.
2. Und dem, der mit dir prozessieren und dein Untergewand nehmen will, laß ihm auch den Mantel.
3. Und welcher dich zwingen will zu einer Meile, geh mit ihm zwei.)
4. Dem, der dich bittet, gib,
5. und den, der von dir
leihen will, weise nicht ab.
Das heißt: Das Böse, dem man nicht widerstehen soll, wird vom Textende zum Textanfang hin immer schlimmer. Die Steigerung geht von der unverschämten Bitte über die Nötigung zur Prozeßdrohung und von da zur nackten Gewalttat. ….
Aber schauen wir uns die vier Logien vom Gewaltverzicht noch etwas genauer an:
Am Ende …ist vom Leihen die Rede. Wahrscheinlich geht es um Geld. Einer kommt und will sich Geld leihen. Das ist an sich noch kein Unrecht. Aber es ist unangenehm. Es kann sogar eine Zumutung sein, da der Fromme damals keinen Zins nehmen durfte. Zudem ist vom Kontext her vorauszusetzen, dass von seiten dessen, der leihen will, Druck ausgeübt wird. Jesus jedoch sagt: „Den, der von dir leihen will, weise nicht ab."
Anschließend ist vom Bitten die Rede. Die Situation ist nicht weiter konkretisiert. Vielleicht ist an Bettler gedacht. Wenn man bedenkt, wie verbreitet und penetrant Betteln im Orient sein kann, ahnt man, was da verlangt wird. Wiederum fordert der Kontext, einen gewissen Druck von seiten des Bittenden vorauszusetzen. Der Bittende wird lästig, er tritt unverschämt auf. Jesus jedoch sagt: „Wenn dich einer bittet, dann gib ihm."
Auf der nächsten Stufe beginnt der Zwang. aggareuein (= zwingen) ist terminus technicus für das Erpressen von Fron- und Dienstleistungen durch eine Besatzungsmacht. Alles spricht dafür, dass in unserem Text die Situation des von den Römern beherrschten Palästina vor Augen steht. Die römischen Kohorten nahmen sich das Recht heraus, einen Juden als Wegführer oder als kostenlosen Lastenträger zum Mitgehen zu zwingen. Jesus sagt: Wenn man dich auf diese Weise zu einer Meile zwingt, dann tu das Doppelte: Geh zwei Meilen weit mit.
Der anschließende Fall ist schwerwiegender. Jemandem soll das einzige Gewand, das er besitzt, abgenommen werden. Die Nötigung geht so weit, dass mit dem Richter gedroht wird. Vielleicht geht es um eine Pfandeintreibung, vielleicht um Schadenersatz - die konkrete Situation bleibt offen. Jedenfalls handelt es sich um einen Armen, der nur ein einziges Gewand und einen einzigen Mantel besitzt. Der Mantel durfte ihm nicht abgenommen werden - das war schon in Ex 22,25f rechtlich festgelegt -, weil sich die Armen in der Nachtkälte mit ihrem Mantel zudecken mussten. Sie hatten nichts Anderes. Jesus sagt: Kämpfe nicht vor Gericht um dein Gewand. Laß es dir sofort abnehmen. Ja, gib deinen Mantel noch dazu.
An der Spitze steht der schlimmste Fall. Ging es bisher um sich steigernde Nötigung, vielleicht auch um verschleierte, verdeckte Gewalt, so handelt es sich jetzt um den Ausbruch offener, brutaler Gewalt, die zugleich als schwere Beleidigung gelten muß. Denn es wird ausdrücklich gesagt, dass der erste Schlag auf die rechte und nicht auf die linke Backe erfolgt. Es wird also nicht mit der Innenseite der Hand, sondern mit dem Handrücken geschlagen. Und der Schlag mit dem Handrücken gilt im Orient als außerordentlich schwere Beleidigung. Jesus sagt: Laß dich brutal beleidigen. Halte deinem Widersacher dann sogar noch die andere Backe hin.
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