Wem gilt die Bergpredigt? Teil 4

 

Mt 6, 7-15       Donnerstag, 11. Woche

 

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. So sollt ihr beten Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen. Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben

 

4. Teil: aus G. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 45

Die Intention der vier Logien ist eindeutig. Dem Hörer wird eingeschärft: Verzichte auf jede rechtliche Sanktion! Verzichte auf jede Wiedervergeltung! Beantworte Gewalt nicht mit Gegengewalt! Aber verharre, wenn dir Unrecht getan wird, auch keineswegs in tatenloser Passivität! Komm deinem Widersacher entgegen) Beantworte seine Nötigung oder seine Brutalität mit überströmender Güte! Vielleicht kannst du ihn auf diese Weise gewinnen.

Ihre besondere Prägnanz erhalten die Aufforderungen von Mt 5,39b-42 dadurch, dass sie keine außergewöhnlichen, relativ seltenen Fälle schildern, sondern dass sie dem realen Alltag der Hörer Jesu entnommen sind und eine ganze Skala von Möglichkeiten verschleierter oder offener Gewalt voraussetzen - von der Belästigung bis zur direkten Gewalttat.

Bereits diese letzte Beobachtung spricht sehr deutlich gegen Auslegungen, die unseren Text rein metaphorisch verstehen möchten. Selbstverständlich liefert Jesus keine Kasuistik. Und selbstverständlich enthält der Text metaphorische Elemente. Sie werden vor allem im jeweiligen Nachsatz deutlich: „Sogar zwei Meilen mitgehen", „noch den Mantel dazugeben", „auch noch die andere Backe hinhalten" - damit verwandelt sich das nur passive Erdulden von Unrecht in ein höchst aktives „dem Gegner noch mehr entgegenkommen", ja, geradezu in ein „sich um den Gegner bemühen", „ihn zum Bruder machen wollen". Insofern wird hier immer auch bildhaft gesprochen. Wie an vielen anderen Stellen redet Jesus in prophetisch-provokativer Zuspitzung. Das ändert aber nichts daran, dass er auf reale Verhaltensweisen abzielt, die als solche einzulösen sind und die modellartig analoge Fälle beleuchten. Jesus verbietet tatsächlich das Anwenden von Gewalt, und er ist überzeugt, dass jeder, der sein Wort annimmt, ohne Gegengewalt und Wiedervergeltung leben kann.

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