Wem gilt die Bergpredigt? Teil 2

 

Mt 5, 43-48     Dienstag, 11. Woche

 

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist

 

2. Teil: aus G. Lohfink, Wem gilt die Bergpredigt, 41 - 42

Christliche Anpassungsversuche

Innerhalb der protestantischen Auslegungstradition der Bergpredigt gibt es - neben vielen anderen Stimmen - eine Position, die besagt: Die Forderung nach Gewaltlosigkeit ist nicht zu realisieren. Jesus wollte mit dieser Forderung auch nichts anderes, als die faktische Unfähigkeit der Welt zur reinen Güte zu entlarven. Der Mensch soll an der Bergpredigt immer wieder scheitern und gerade so seine Verlorenheit und seine maßlose Verstrickung in die Schuld erkennen.

So wenig diese Auslegungstradition die Lehre Jesu trifft - es handelt sich doch um eine Position, die einen biblischen Hintergrund hat 6 und die einen theologischen Anspruch stellt. Banal hingegen liest es sich in einem katholischen Katechismus, der 1975 in der Schweiz mit kirchlicher Druckerlaubnis und vatikanischer Belobigung erschien. In diesem Katechismus wird, im Kontext der Frage nach der Gewaltlosigkeit, kategorisch erklärt' :

Die Anweisungen in der Bergpredigt sind nicht wörtlich zu nehmen, weil das sowohl im privaten wie im öffentlichen Leben zu unhaltbaren Zuständen führen würde.

Ein wörtliches Ernstnehmen der Bergpredigt, wie es Franz von Assisi gelebt hat, führt also zu unhaltbaren Zuständen ... Man traut seinen Augen nicht! Wir sollten uns allerdings nicht allzu-sehr entrüsten. Denn der zitierte Text spricht ja nur mit bemerkenswerter Ehrlichkeit aus, was viele denken und was wir alle in unserer Praxis ständig ratifizieren: Wir antworten auf Gewalt mit Gegengewalt. Wir lassen uns nichts gefallen. Wir halten nicht noch die andere Backe hin.

Solschenizyn steht also keineswegs allein. Er steht mit seinem Protest in einer langen Tradition. Er hat viele Christen und er hat vor allem viele Theologen auf seiner Seite. Ständig wird die Aufforderung Jesu zum Gewaltverzicht entschärft, verharmlost, angepasst, relativiert, in den wohldurchdachten Koordinaten theologischer Systeme fixiert. Sie wird als Zielgebot, als Orientierungswert, als Handlungsimpuls, als Interimsethos, als Hochethos, als Gesinnungsethos oder als Forderung nur an den Einzelnen auf den Begriff gebracht und so domestiziert.

Glücklicherweise will aber diese Domestizierung nicht gelingen. Jesu Aufforderung zum Gewaltverzicht erweist sich trotz aller Abwehr- und Eingrenzungstheorien als „gefährliche Erinnerung", als ein hochbrisanter Sprengsatz inmitten der kirchlichen Tradition, dessen Entschärfung bis heute nicht geglückt ist. Immer wieder stehen in der Kirche Menschen auf und immer wieder bilden sich in der Kirche Gruppen, die Jesu Aufforderung zum Gewaltverzicht wörtlich nehmen.

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